Gott - gnädig inkonsequent

Predigt zum 1. Sonntag nach Trinitatis von Dekan Friedich Zimmermann, Ditzingen

Was für ein Gott!


Das ist das Thema der Geschichte von Jona. Der will’s nicht kapieren. Es will nicht in seinen Kopf, wie Gott ist. Aber kapieren wir denn, an was für einen Gott wir glauben? Treffend hat der Apostel Paulus zusammengefasst: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. (2. Kor. 13,13 )
Eigentlich ist damit alles Wesentliche gesagt. Aber gesagt ist noch lange nicht verstanden und kapiert. Dicke Bücher über Gott, Bände von Dogmatiken füllen Bibliotheken. Schlaue Leute zerbrechen sich die Köpfe.

Und wir? Heute? Wir haben die Geschichte von Jona. Die 19 Verse von Kapitel 1 sind nicht die ganze Geschichte. Aber wir wissen damit Entscheidendes. Sicher – auch über Jona. Aber noch vielmehr über Gott. Wie Gott ist. Mit zwei Worten gesagt: Gnädig inkonsequent.
Eigentlich müsste Gott doch… aber er… ja, was denn? Nehmen wir noch einmal wahr:
Jona überspannt den Bogen. Gott gibt ihm einen Auftrag. „Mach dich auf und geh…“ Das ist sein Job, sein Beruf als Prophet. Hören, gehen, sagen. Und was macht Jona? Er geht. Aber in die falsche Richtung. Genau entgegengesetzt. Ninive liegt im Osten. Jona geht in den Westen. Hinab nach Jafo, ans Meer. Von dort mit dem Schiff nach Tarsis. Das liegt in Spanien. Weiter nach Westen ging es damals wahrlich nicht.

Dreimal – so im Hebräischen mit einem Wort ausgedrückt – „geht Jona hinab“. Er geht hinab nach Jafo. In Jafo „geht“ er „hinab“ auf das Schiff nach Tarsis. Und als der Sturm losgeht und die Schiffsmannschaft nicht mehr aus noch ein weiß, jeder zu seinem Gott schreit und sie gleichzeitig in größter Not die Schiffsladung über Bord werfen – als ob ihn das alles nichts anginge, Jona „geht hinab“ in den Schiffsbauch – und schläft.
So weit ist es mit ihm gekommen. So tief ist er abgestürzt. Nur weg von Gott. Er will Gott los sein. Kein Gebet. Nichts. Selbst dem Schiffsherrn bleibt er eine Antwort schuldig: „Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an!“ Aber Fehlalarm. Jona verweigert sich. Nichts kommt über seine Lippen. Schon gar nicht ein Gebet. Und Gott schaut zu – so sieht es zumindest aus. Und der Sturm tobt und die Wellen tosen. Untergang ist angesagt.

Da greifen diese Seeleute zum wohl letzten Mittel, das sie kennen: Losen. Das Los soll ihnen zeigen, wer schuld ist an ihrer Misere. Etwas Außerirdisches – ein Wink von oben, eines Gottes – wird bemüht. Und trifft – Jona. Kein Zufall! Soweit er sich von Gott entfernt hat, so nah ist Gott ihm. Jona hat Gott bildlich gesprochen weggekickt wie eine alte Blechdose am Rand seines Wegs. Aber Gott bleibt ihm auf den Fersen.
Das kennt Jona: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen…“ Psalm 139 9+10

In der größten Not bricht Jona sein Schweigen. Er outet sich, wer er ist. Nun ist es raus. Eigentlich müssten diese Seeleute jetzt über ihn herfallen. Aber sie haben Respekt. Dieser Mann untersteht dem Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat (V 9).
„Was sollen wir denn mit dir tun?“ Ihnen ist klar: Jona ist ein Gott-Loser, ein Flüchtiger vor Gott. „Nehmt mich und werft mich ins Meer“ Jona sieht keinen anderen Ausweg. Er sieht die Schuld allein bei sich. Er gibt auf – sich auf.
Aber die Seeleute geben nicht auf. Sie rudern. Alles setzen sie daran. Am Ende rufen sie sogar diesen unbekannten Gott an: „Ach, Herr, lass uns nicht verderben wegen diesem einen Mann…“
Als nichts mehr hilft, werfen sie Jona über Bord. Das Meer wird still. Und sie packt Ehrfurcht vor Gott. Opfer werden gebracht. Gelübde werden getan. Gott wird geehrt.

Wie oft ist es so bei uns Menschen. Es muss alles Mögliche passieren. Erst dann geben wir Gott, was ihm gebührt: Unsere Anerkennung, unsere Ehrfurcht, unseren Respekt. Ja, dass wir zurückblicken auf unser Leben – nichts anderes heißt Respekt – und sehen, wie oft uns Gott schon Gutes getan hat (Psalm 103, 2).
Und Jona? Für ihn geht es noch tiefer hinab als in den Schiffsbauch. Er versinkt in den Tiefen des Meeres. Da ist nichts mehr, was ihn hält oder woran er sich halten könnte. Nur Wasser, Kälte, Finsternis – der sichere Tod. Nichts anderes hat er auch verdient. So kurz denkt der Mensch.

Aber Gott lenkt. Gnädig inkonsequent. Eigentlich müsste er Jona hängen – oder besser: absaufen lassen. Das wäre konsequent. „Was sich einer einbrockt, das muss er auch auslöffeln.“ So aber wohl nicht bei Gott. Der Schöpfer des Himmels und der Erde schickt Jona eines seiner Geschöpfe. „Ein großer Fisch“ steht in der Bibel.
Im Urtext steht ein „Seeungeheuer“. Also nichts Geschmeidiges. Eher Furcht erregend. Das verschluckt Jo-na. Ist er nun „vom Regen in die Traufe“ geraten?
Der tiefste Punkt im Leben des Jona wird zu seinem Wendepunkt. Im Bauch des Ungeheuers kommt der Gottes- und Gebetsverweigerer zur Rück-Besinnung. Im Bauch des Seeungeheuers hat Jona eine Auszeit. Er ist herausgenommen – sozusagen in Klausur.
Er feiert dort einen Gottesdienst. Er wendet sich an Gott. Er betet. Sein Gebet ist das komplette 2. Kapitel im Buch des Jona. Jona dankt Gott für seine Rettung. Es ist ein eindrückliches Gebet. Es endet mit dem Versprechen: „Meine Gelübde will ich erfüllen dem Herrn, der mir geholfen hat.“

Und Gott lässt sich auf sein Gebet ein – am Ende wieder einmal gnädig inkonsequent. Das Fischungeheuer schwimmt ans Ufer und speit Jona aus. Der macht sich auf den Weg. Endlich erfüllt er den Auftrag Gottes und geht nach Ninive. Er predigt dieser verruchten Stadt den Untergang. Nichts anderes hat sie verdient.
Aber o Wunder: Alle, einschließlich der König, glauben seinen Worten. Der König verlässt seinen Thron. Er legt seinen Purpur ab und hüllt sich in Sack und Asche und lässt ein Fasten ausrufen. Alle fasten, Mensch und Tier.
Und wieder ist Gott gnädig und erspart den Leuten von Ninive die angedrohten und berechtigten Konsequenzen. Er verschont die Stadt.

So ist Gott – barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte. Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat… So ist Gott im Blick auf uns. Voller Liebe. Und so ist er im Blick auf andere – auch auf ganz andere, auch auf die, denen wir möglicherweise das Schlimmste an den Hals wünschen.
Oder haben Sie immer „heilige“ Gedanken gegenüber Menschen, die ganz offenkundig Böses tun und anderen – vielleicht auch Ihnen selbst – das Leben schwer machen?
Gottes gnädige Inkonsequenz will nicht in den Kopf. Sie widerspricht menschlichem Denken und Fühlen und Verstehen. Auch Jona opponiert – obwohl er selbst von dieser gnädigen Inkonsequenz Gottes lebt und nur diese ihn gerettet hat.
Gottes gnädige Inkonsequenz muss ins Herz. Sie will und sie kann nur geglaubt werden. Dazu braucht es Auszeiten wie für Jona im Fischungeheuer. Es braucht die Zeit des Gottesdienstes wie für uns heute – noch immer in der Coronakrise – mit all ihren Nöten. Der Sonntag ist die Chance für uns. Wir haben es nötig, uns immer und im-mer wieder sagen zu lassen, ja, es zu hören: Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.
Möglicherweise ist das nichts für große und weise Köpfe. Aber für kleine und verzagte und manchmal an sich selbst zweifelnde Herzen. Amen.

 

Jona 1


1 Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais:
2 Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen.“
3 Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom Herrn.
4 Da ließ der Herr einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein gro-ßes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen.
5 Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und war-fen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief.
6 Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: „Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht verderben.“
7 Und einer sprach zum andern: „Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wes-sentwillen es uns so übel geht.“ Und als sie losten, traf’s Jona.
8 Da sprachen sie zu ihm: „Sage uns, um wessentwillen es uns so übel geht? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von wel-chem Volk bist du?“  
9 Er sprach zu ihnen: „Ich bin ein Hebräer und fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat.
10 Da fürchteten sich die Leute sehr und sprachen zu ihm: Was hast du da getan? Denn sie wussten, dass er vor dem Herrn floh; denn er hatte es ihnen gesagt.
11 Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, dass das Meer stille werde und von uns ablasse? Denn das Meer ging immer ungestümer.
12 Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Un-gewitter über euch gekommen ist.
13 Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an.
14 Da riefen sie zu dem Herrn und sprachen: Ach, Herr, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; denn du, Herr, tust, wie dir’s gefällt.
15 Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten.
16 Und die Leute fürchteten den Herrn sehr und brachten dem Herrn Opfer dar und taten Gelübde.
2,1 Aber der Herr ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte.
2 Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches.
11 Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.