Ein Impuls zur Fastenzeit

Gefühlt geht die Fastenzeit schon ein ganzes Jahr und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Wir müssen fasten, verzichten: auf körperliche Nähe, Handgeben oder Umarmungen und frohe Runden mit Freunden, ... Wie erleben Sie dieses Fasten? Wo finden wir Gott darin?

In diesen Tagen wäre die Hoch-Zeit des Faschings. Zahlreiche Umzüge würden im Land veranstaltet und manche würden am Rosenmontag die großen Karnevalsumzüge in Köln, Mainz und Düsseldorf im Fernsehen verfolgen. Das ausgelassene Treiben vor Beginn der Fastenzeit an Aschermittwoch fällt dieses Jahr aus.

Gefühlt geht die Fastenzeit schon ein ganzes Jahr und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Wir müssen fasten, verzichten: auf körperliche Nähe, Handgeben oder Umarmungen und frohe Runden mit Freunden, auf den Austausch mit Kollegen, auf Familientreffen, auf den Sport, auf die Schule, auf das Beieinandersein im Konfi und der Jugendarbeit. Sozial-Fasten, Kontakt-Fasten, Feier-Fasten, Party-Fasten, Konsum-Fasten, Reise-Fasten. Wir könnten noch vieles aufzählen. Wie erleben Sie dieses Fasten?
Geschuldet ist es dem Virus, auferlegt wird es uns von unserer Regierung. Welche Folgen hat dieses Fasten? Wir hoffen auf ja so sehr darauf, dass wir wieder das Geschehen bestimmen und nicht die Gefahr und Angst vor einer Infektion, einem schweren Verlauf und dem Tod unser Leben bestimmen. Müde und ausgelaugt fühlen sich viele von diesem Corona-Fasten und fragen auch, wo finden wir Gott darin? Ist er überhaupt zu finden? Oder hält er auch Distanz? Entzieht er sich unseren Kontaktwünschen?

Fast alle Religionen kennen Fastenzeiten: Zeiten, in denen man sich bestimmter Dinge oder Speisen enthält, um frei zu werden für die Gottesbeziehung.
Der Prophet Jesaja kritisiert harsch falsches Fasten. Da sind Menschen, die vorgeben, dass sie, indem sie fasten, Gott suchen und seine Nähe. Sie wollen sich öffnen für Gott, aber so geht das nicht, kritisiert der Prophet. Wenn inneres und äußeres Leben nicht übereinstimmen, geht Gott auf Distanz.
An seinen kritischen Worten ist nichts zu beschönigen und sie sind an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. Und im Grunde wissen wir sehr gut, was gemeint ist und dass auch wir damit gemeint sind.
Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

Deutlich die Frage nach unserem Wirtschaften, nach unserem Eintreten für die Unterdrückten, nach dem Umgang mit den Armen. Wir können uns zurücklehnen und auf unseren funktionierenden Sozialstaat verweisen, auf unseren Arbeitsschutz und den Mindestlohn. Wir können auch verweisen auf die eindrucksvollen Leistungen unserer diakonischen Arbeit hier vor Ort mit der ÖSS, der Nachbarschaftshilfe, dem Weltladen und dem, was jeder und jede in der Familie, in der Nachbarschaft und in unserer Gemeinde leistet und auch überregional mit unseren Hilfsorganisationen „Brot für die Welt„ oder „Diakonie-Katastrophenhilfe“. Und doch wissen wir auch, dass wir so vielfältig und komplex verflochten sind, dass wir zu keiner Eindeutigkeit des Guten kommen, das unser Handeln immer auch unter einem ethischen Vorbehalt steht, wenn wir uns in unserer globalen Vernetzung betrachten. Jesaja mahnt uns, dass wir es uns nicht zu leicht machen mit dem Verweisen auf Sozialstaat, Diakonie und globale Verflechtungen. Dass Kinder in Indien für unseren Markt im Steinbruch schuften oder Kinder in Peru in Minen – das muss ein schmerzender Stachel in unserem Fleisch bleiben und uns in unserer Trägheit und Selbstgerechtigkeit immer wieder aufrütteln, auch wenn es keine einfachen Lösungen für unsere globalen Probleme gibt.
Und wir können uns fragen, wonach hungern die Menschen, in meinem direkten Umfeld? Und wie kann ich sie ernähren? Mit einem guten Wort, mit einem Anruf, einem Gespräch über dem Zaun? Und wo habe ich Hunger? Was fehlt mir so? Und wo sind die Menschen um mich herum, die kein Obdach haben? Nicht nur die, die mit dem Schlafsack in Hauseingängen liegen in Stuttgart oder anderen Städten. Sehe ich diejenigen, die keine innere Heimat haben, die sich nicht geborgen wissen, die schutzlos sind. Kinder, allein vor dem PC? Jemand bloßgestellte im Internet? …

Fromme Übungen sind nichts wert, wenn unser Leben ansonsten mit dem, was Gott will, nichts zu tun hat.
Dann kreisen wir immer nur um uns selbst. Dann suchen wir auch nicht Gott oder seine Nähe, sondern einen Götzen, der sich von uns beeindrucken und beeinflussen lässt. Dann suchen wir einen Gott, der sich von uns für unsere Zwecke instrumentalisieren lässt, damit wir so weitermachen können wie bisher.
Gott reagiert darauf mit Distanz und entzieht sich. Sein Prophet muss jetzt in seinem Namen sprechen. Und den Finger in die Wunde legen. Dinge sagen, die nicht gefallen und Widerspruch auslösen. Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

Und wie ist es mit unserem Corona-Fasten? Wie gehen wir mit dem uns auferlegten Fasten um? Das machen wir ja nicht aus Frömmigkeit. Und doch können wir Gott in allem suchen und finden, auch in den Zumutungen dieser Zeit. Vielleicht ist es gut, überhaupt mal wieder nach Gott zu fragen, und nicht nur zu klagen, dass alles so schrecklich ist.

Für uns ist inbesondere die Fastenzeit die Zeit, in der wir den Weg Jesu bedenken, der ans Kreuz führt, sein Weg hinauf nach Jerusalem ist ein Weg in Leid und Tod.
Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, so heißt es im Wochenspruch und so spricht Jesus zu seinen Jüngern. Ein besonderer Zug setzt sich da in Bewegung. Jesus gefolgt von seinen Jüngern, der vom Jordantal aufbricht und hinauf geht nach Jerusalem. Dort wird er mit viel Jubelgeschrei und Palmwedeln in die Stadt einziehen. Was für ein Zug ist das? Ist es ein Triumphzug? Oder eine Parodie darauf?
Am Ende wird Jesus sein Kreuz durch die Stadt schleppen und viele stehen wieder dabei und folgen ihm. Was ist das nun für ein Zug? Äußerlich ein Zug in Schmerz und Tod, doch im Tiefsten wissen wir - ist es ein Zug in Befreiung und Leben. Ein Zug durch das Dunkel des Todes hindurch ins Licht des Ostermorgens.
Wenn wir jetzt in der beginnenden Fastenzeit unser Corona-Fasten bewusst vor Gott gestalten und schauen, was er uns gerade jetzt schenkt? Wenn wir mit Jesus innerlich hinaufziehen nach Jerusalem, seinen Leidensweg bedenken, und erkennen, dass uns gerade dies zugute geschieht, ändert sich dann unser Blick auf unsere Not?

Der Prophet Jesaja beschreibt am Ende seiner harschen kritischen Rede über das falsche Fasten der Menschen auch einen ganz besonderen Zug, der eine neue Richtung einschlägt. Ein neuer Weg wird beschritten, ein Zug der Menschen begleitet von Gott, der voraus geht mit Gerechtigekit und am Ende den Zug abschließt mit seiner Herrlichkeit. Alle gehen mit, das ganze Volk und es leuchtet wie das Morgenrot.
Wenn die Menschen hören und sich umwenden lassen, wieder eintreten in die Einheit von Gottesliebe und Menschenliebe, dann kann der Weg eine andere Richtung einschlagen, dann kann er auf ein Ziel hingehen und uns heilen und uns zur Freiheit und zur Gottesnähe führen. Dann hat das im Kreis um sich selbst gehen ein Ende, dann finden wir Gott und einander.
Jesaja spricht:
Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Was für ein Bild tut sich da auf. Gott ist ganz nah, man kann wieder mit ihm reden: Wir rufen und er antwortet. Es ist Licht, das zarte Licht der Morgenröte, die von der Helligkeit des Tages kündet, das Volk wird wieder aufgerichtet, Wunden heilen. Gerechtigkeit vor dir und die Herrlichkeit des Herrn hinter dir. Und alle sind dabei, keiner bleibt am Rande stehen und ist nur Zuschauer.
Zwischen Gerechtigkeit und Herrlichkeit liegt das Leben, das konkrete Tun des Guten jeden Tag. Zwischen Gerechtigkeit und Herrlichkeit vollzieht sich der Weg, den Gott führt.

Diese Verheißung macht Mut. Gott wird mit seiner Herrlichkeit deinen Zug beschließen, so wird es dem Volk Israel verheißen. Gott geht zum Schluss. Er steht hinter uns, er stärkt uns den Rücken, von ihm her kommt die Kraft, er stützt und weist den Weg, gibt seinen Geist und inspiriert unseren.
Und diese Prozession, die Jesaja beschreibt, erinnert an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Geführt tags von der Wolken- und nachts von der Feuersäule. Es ist ein Weg der Befreiung. Hier jetzt ein Weg der Befreiung von Schuld und Ungerechtigkeit: Ein Weg weg von den falschen Versuchen, sich Gott zu bemächtigen. Hier jetzt ein Weg, den Gott führt und der zu ihm hinführt.
Dietrich Bonhoeffer hat im Gefängnis so formuliert und folgendes aufgeschrieben: Die eigenen Wege führen im Kreis immer zu uns selbst zurück. Aber wenn Gott unsere Wege leitet, dann führen sie zu ihm. Gott leitet uns durch Glück und Unglück – immer nur zu Gott. Daran erkennen wir Gottes Wege.
Möge er uns so führen!

Pfarrerin Silke Heckmann

Predigt am Sonntag Estomihi 2021 in der Laurentiuskirche in Hemmingen

 

Jesaja 58, 1 - 8


1 Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!
2 Sie suchen mich täglich und begehren meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe.
3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?«
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.
4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.
5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?
6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

 

Herr, unser Gott,

 

führe uns Wege zu dir,
leite uns, dass wir dich finden
in allem, was gerade ist,
was uns schwerfällt,
wo wir müde und ausgelaugt sind,
wo wir am Ende der Geduld angekommen sind.

Hilf uns aus unseren Kreisläufen um uns selbst heraus und stelle unsere Füße auf weiten Raum.

Halte in uns das Leiden an der Ungerechtigkeit wach, und stärke uns den Rücken,
dass wir das Rechte tun.

Stärke uns auch in unserer Hoffnung,
dass wir nicht aufhören,
dir zu vertrauen.